Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos …
Mag sein, dass es schon zu Zeiten des Alten Kaisers so war. Die Krise der österreichischen militärischen Landesverteidigung scheint jedoch zumindest seit Beginn der Zweiten Republik eine „pragmatisierte Dauereinrichtung“ zu sein. Viele in unseren Reihen haben unterschiedlichste Heeresreformen erlebt und stets ist man dabei gut österreichisch auf halben Wegen (wenn überhaupt) zu halben Zielen mit halben Mitteln steckengeblieben. In den beiden vergangenen Dekaden scheint das Maß der Wehrpolitik nicht einmal das Grillparzer’sche, sondern maximal 25 Prozent gewesen zu sein – vielleicht auch mit einem “Vierterl”, weil ja -frei nach Johann Nestroy – “”eh’ der Komet kommt”.
Die Corona-Krise darf nicht zudecken, dass ganze Regierungen, von denen man annehmen müsste, dass sie in Sachen Landesverteidigung bestehende Gesetze zu vollziehen gehabt hätten, unser Bundesheer dorthin gebracht haben, wo es steht – oder besser gesagt liegt. Gerade jetzt gilt es, das Bewusstsein zu fördern, wie sehr man ein funktionierendes Bundesheer bräuchte, um in der Not Schutz und Hilfe leisten zu können. Vorwürfe von Panikmache gehen ins Leere. Denn wenn man es bislang nicht hören wollte, stellt sich die Frage nach dem Wann, wenn nicht Jetzt. Es gilt es aufzuzeigen, wie man die sogenannte “strategische Handlungsreserve der Republik” abgewirtschaftet hat. Jeder wehrpolitisch Interessierte kann erkennen, dass das Motto nicht mehr “Schutz und Hilfe” für die Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen, sondern “rien ne va plus” lautet. Leider scheint das Interesse bei den sogenannten politische Eliten eher gering gewesen zu sein.
“Why the Worst get on Top”
Die Schuldigen in der Politik kennen wir. Genauso sind ihre Berater bekannt, denen sie gern ein offenes Ohr geliehen haben und auf deren vorauseilend gehorsame Empfehlungen sie sich berufen haben. Friedrich Hayeks “Why the Worst Get on Top” scheint einmal mehr bestätigt. Zumindest einige Minister der jüngeren Geschichte betreffend.
Dies darf nicht als Vorwurf an die neue Ministerin verstanden werden. Schließlich ist sie gerade einmal erst 75 Tage im Amt und war bis zu ihrem Amtsantritt kaum mit Belangen der militärischen Landesverteidigung konfrontiert. Und seit Franklin D. Roosevelt gelten bekanntlich die ersten 100 Tage im Amt als unausgesprochene Schonfrist für Politiker. Der legendäre US-Präsident ist einst zum Zeitpunkt einer der größten Krisen der Welt ins Amt gekommen. Er hat damals ersucht, ihm 100 Tage Zeit zu gewähren, um seine Reformvorschläge für den Weg aus der Krise erkennen zu lassen. Die wurden ihm zugestanden und mit seinem “New Deal” hat er den Weg aus der Krise geschafft.
Es braucht einen “New Deal”
Ein “New Deal” wird wohl auch notwendig sein, um unserem Bundesheer wieder eine Organisationsform zu geben, welche die Bezeichnung “Heer” rechtfertigt. Das bedeutet in erster Linie die Herstellung der Verfassungskonformität im Sinn des Gesetzgebers, wie es dieser in den entsprechenden parlamentarischen Erläuterungen zum Ausdruck gebracht hat. Dass dies eine Wehrpflicht nach dem jahrelang erfolglosen Modell “Sechs plus Null” nicht sein kann, ist offenkundig. Jede andere Form ohne Null und Nullen muss weg. Denn mit einer derartigen zeitlichen Struktur ergibt das nie und nimmer ein Heer nach den Grundsätzen eines Milizsystems. Eher das Gegenteil, wenn die Rekruten nach Erreichen ihrer Einsatzverwendungsfähigkeit für ein paar Wochen in Truppenkörper eingegliedert werden, die aus Berufssoldaten gebildet werden – “präsente Kräfte” genannt. Es macht die Sache nicht besser, wenn dies nur auf die geringere Zahl der Wehrpflichtigen zutrifft, weil die Mehrheit zum Erhalt des Systems bereits nach wenigen Wochen als “Funktionssoldaten” (Köche, Mechaniker, Kellner, Kanzleischreiber etc.) eingeteilt wird.
Eine “Bewährungsprobe” unter falschem Titel?
Wenn nun die Bundesregierung verkündet, im Zuge der Corona-Krise im Mai 2020 eine “Teilmobilisierung der Miliz” durchzuführen, darf man gespannt sein, wie diese 3.000 oder gar 3.500 Mann aufgeboten werden. Besonders dann, wenn dazu in einer Pressekonferenz und in Interviews durch den Milizbeauftragten (Anm.: gem. Wehrgesetz eine Beratungsfunktion des Verteidigungsministers) behauptet wird, dass es sich dabei um 10 Prozent der Miliz handle. Dies würde bedeuten, dass es ein Milizheer von 30.000 Soldaten gibt. Auch wenn in einer 6-seitigen Beilage einer großen österreichischen Tageszeitung in einem auf einer Doppelseite dargestellten Interview”nur noch” von 27.000 Mann die Rede ist (immerhin gleich um die Menge weniger wie jene der einzuberufenden), wirft dies eine Reihe an Fragen auf.
Die Menge von “30.000 Bürgern in Uniform” ist eine rein theoretische – in der österreichischen Literatur “Schimäre” genannt – für die es nicht einmal den entsprechenden Organisationsrahmen gibt. Einen solchen gibt es für 10 Bataillone einer sogenannten “strukturierten Miliz”, die in “leichten Jägerbataillonen” (je weniger als 600 Soldaten) und darüber hinaus für einige wenige “selbstständige Einheiten”. In Summe eine theoretische Menge von weniger als 10.000 Soldaten. Da nicht anzunehmen ist, dass sich der “kleine Rest von 20.000 Soldaten “in geheimen Beraterfunktionen tummelt, stellt sich die Frage nach deren Verbleib.
Es ist kein Geheimnis ist, dass für diese behauptete “Miliz”, weder für eine aus 27.000 oder 30.000 Soldaten bestehend, keine entsprechende Ausrüstung und Ausstattung gegeben ist. An die notwendigen Geräteleihen aus dem gesamten Bundesgebiet sei erinnert, wenn lediglich ein einziges Bataillon der sogenannten “strukturierten Miliz” übte. Es kann sich bei den 3.000 Soldaten also kaum um organisierte Verbände handeln, sondern maximal um Einzelpersonen, die ihrem personalrechtlichen Stellung nach als Soldaten des Milizstandes einberufen werden, von da an erst in Einheiten zusammengeführt werden und einen Einsatz-Präsenzdienst leisten, für den sie zunächst unter Quarantäne eingeschult werden müssen. Für ihre Leistungen im Dienst unserer Gesellschaft ist diesen Soldaten schon im Voraus zu danken.
Dennoch: Mit Heeresteilen, die nach den Grundsätzen eines Milizsystems aufgestellt sind, hat dies nichts zu tun. Wie ein solches Heer zu organisieren (bzw. nicht zu organisieren) ist, geht aus den Erläuterungen des Verfassungsgesetzgebers hervor. Den jetzigen Zustand als “Miliz” zu bezeichnen, ließe auf mangelnde militärische Expertise oder Interesselosigkeit schließen. Denn arglistige Täuschung, mit der man die Versäumnisse der Regierungsverantwortlichen (samt ihrer obersten militärischen Führer)” vergessen machen” will, soll wohl nicht anzunehmen sein.
Ein “New Deal” ist gefordert, danach erst kommt die Frage der Finanzierung. Denn die Fortsetzung des verfassungs- und bedarfswidrigen Weges mit der alleinigen Forderung nach mehr Geld wäre nicht nur Betrug am Wähler, sondern auch eine Inanspruchnahme tausender junger Rekruten, die mangels Sinngehalt ihrer soldatischen Verwendung die Zahl jener wachsen lässt, die den Wehrdienst verweigern.
Für viele war es schier unbegreiflich, dass unsere Bundesministerin schon wenige Wochen nach Amtsübernahme angeblich verkündete, dass unser Heer einsatzbereit sei. Mag sein, dass diese Aussage unter dem Eindruck eines Besuchs im Regierungsbunker bei St. Johann gefallen ist und sich auf die Luftraumsicherung des Weltwirtschaftsforums in Davos bezogen hat. Bekanntlich hat sich Österreich mit sechs Hubschraubern und vier Eurofightern “Darabos’scher Prägung” (Anm.: nachtblind) an dieser Operation mit der Schweiz und Deutschland beteiligt. “Das zeigt, wir sind einsatzbereit – rund um die Uhr”, war die spontane Beurteilung der Frau Minister, die bei vielen wohl in der Erfahrung beschönigender Darstellungen diverser Vorgängerminister Kopfschütteln auslöste, weil sie die Aussage auf den Zustand des gesamten Bundesheers bezogen.
Dem Vernehmen nach soll es ob der möglicherweise falsch wahrgenommenen Aussage der Ministerin in einzelnen wehrpolitischen Vereinigungen Austrittserklärungen gegeben haben. Als würden diese den Zustand des Heers verbessern oder das ohnedies leichte “Gewicht” wehrpolitischer Vereine erhöhen.
Nicht Austritte sind gefragt, sondern eine Erstarkung der Stimme aller wehrpolitischen Vereine, die sich als Teil einer “Bürgergesellschaft” begreifen – nicht als Wurmfortsatz einer verfehlte Regierungspolitik, die obendrein im Widerspruch zu Bedarf und Gebot unserer Bundesverfassung steht.
Die budgetäre Lage ist unzweifelhaft ernst. Noch ernster ist es um die Organisation bestellt, die kein Heer in notwendiger Stärke aufkommen lässt. Die Hoffnung lebt jedoch, dass nach den wehrpolitischen Irrungen vergangener Jahre Neues entsteht. Das bräuchte man auch gar nicht erst erfinden, denn es steht schon in unserer Bundesverfassung, im Wehrgesetz und sogar im Regierungsprogramm. Es wäre lediglich umzusetzen.