…. aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Das Zitat stammt aus Bert Brechts nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verfasstem Stück „Leben des Galilei“. Allein deshalb, weil es von Brecht stammt, muss es noch nicht falsch sein – gleichwenig wie richtig. Aber es sollte zum Nachdenken anregen, ob nicht das Vertuschen der Wahrheit mit Mitteln arglistiger Täuschung einer Lüge gleichkommt. Besonders dann, wenn es um die Sicherheit von uns allen geht.
Noch klingt es in unseren Ohren nach, dass ein österreichischer Verteidigungsminister, der mittlerweile aus der aktiven Politik ausgeschieden ist, in Einklang mit „seinem“ Chef des Generalstabs öffentlich erklärte, dass sich die Bevölkerung auf das Bundesheer verlassen könne (u.a. Klug, in DiePresse, 10 09 2014).
Wie sehr, war nach spätestens einem Jahr feststellbar, als es für das Bundesheer galt, am unteren Rand denkbarer Einsatzszenarien im Zuge der Migrationswelle sicherheitspolizeiliche Assistenz zu leisten. Im Rückblick und aus Gesprächen mit Truppenkommandanten war dies lediglich mit höchster Improvisation und einigen “Kapriolen” möglich. Wie weit der damalige Minister und seine Handlanger der Öffentlichkeit „reinen Wein eingeschenkt haben“, möge im Sinne des einleitenden Absatzes der geneigte Leser selbst beurteilen.
Unsere Bundesverfassung gebietet seit Jahrzehnten, das Bundesheer nach den Grundsätzen eines Milizsystems zu organisieren. Einschlägiger wissenschaftlicher Literatur kann man entnehmen, was dies bedeutet. Der Gesetzgeber hat obendrein in veröffentlichten parlamentarischen Erläuterungen erklärt, was darunter und was jedenfalls NICHT darunter zu verstehen ist (siehe OG-B Mitteilungsblatt 12/19). Unser Bundesheer ist völlig anders als nach den vom Gesetzgeber formulierten Merkmalen organisiert. Eher nach dessen Ausschließungsgründen. Es entbehrt der wichtigsten Grundsätze eines Milizsystems. So zum Beispiel ist es ein wesentliches Merkmal dieser Organisationsform, dass tendenziell das größtmögliche Potenzial einer Gesellschaft zur militärischen Dienstleistung heranzuziehen ist. In Österreich bilden Wehruntaugliche gemeinsam mit Wehrdienstverweigerern (so nennt die Bundesverfassung übrigens die Ersatzdienstleistenden) den überwiegenden Teil der Stellungspflichtigen eines Geburtenjahrgangs. Eingeschränkt auf männliche Staatsbürger. Frauen ist es genehmigt, freiwillig Militärdienst zu leisten.
Warum dem so ist? Im Wesentlichen sind die Gründe dafür wohl in unserem politischen System zu suchen, wo die Rekrutierungsmuster für wehrpolitisch relevante Funktionen (z. B. Bereichssprecher im Nationalrat oder gar Minister) geradezu kafkaeske Merkmale an die Oberfläche bringen. Der absolute Tiefpunkt wurde wohl erreicht, als vom Oberbefehlshaber des Bundesheeres auf Vorschlag des Parteichefs der stimmenstärksten Partei aus den Nationalratswahlen ein Wehrdienstverweigerer als Minister eingesetzt wurde.
Nun mag es keine Voraussetzung für ein wehrpolitisches Amt sein, vor einer Bestellung „einen Stahlhelm getragen zu haben“. Der wohl erfolgreichste Verteidigungsminister der Zweiten Republik war – weil „weißer Jahrgang“ – zwar auch nie Soldat, hat aber entscheidende Schritte in Sachen Personalstruktur und Ausrüstung gesetzt. Hier sei an die verfassungsgesetzliche Verankerung des Organisationsprinzips zur Miliz oder die Einführung von Lenkwaffen erinnert.
Dass „Stahlhelmtrageerfahrungen“ allein keine Garantie für eine erfolgreiche Ministerschaft bilden, haben mehrere Amtsnachfolger bewiesen. Einem unter ihnen, dem offenbar die Witterung eines Landeshauptmannsessels den Blick auf dieses in unserer Bundesverfassung festgelegte Prinzip „verstellte“, hat es gar geschafft, dem Bundesheer den wehrpolitischen Dolchstoß zu versetzen. In Vernachlässigung der Pflicht, als Regierungsmitglied getreulich das Gesetz zu vollziehen, hat er die heute von Fachleuten geforderten Pflichttruppenübungen abgeschafft und die Wehrdienstzeit damit auf „Sechs plus Null“ reduziert. Bei gesetzlichem Gebot zu allgemeiner Wehrpflicht und Milizarmee schuf er eine Form des Grundwehrdienstes, wie es kaum eine sinnlosere gibt.
Bei aufrechter Bestimmung des Verfassungsgesetzgebers haben sich politisch Verantwortliche und militärische Planer offenbar keinen Deut um den Auftrag der Volksvertretung geschert. Dass dies kaum jemanden aufgefallen ist, mag dem Desinteresse in den Kontrollinstanzen zuzuschreiben sein. Wer hinterfragt auch schon eine Organisation hinsichtlich ihrer gesetzeskonformen Struktur, wenn ihre Führungskräfte mit schneidigen Worten erklären, sie könne alle Aufträge erfüllen und die Bevölkerung könne sich darauf verlassen.
Im derzeitigen Verteidigungsbudget von 2,3 Mrd. Euro betragen die Personalkosten nahezu 70 Prozent. Da bleibt nicht viel für den laufenden Betrieb und noch weniger für Investitionen. Von rund 15.000 Berufssoldaten und 8.000 Zivilbediensteten wird also der Großteil des Budgets „aufgefressen“. Die allgemein Wehrpflichtigen werden sechs ganze Monate lang „grundausgebildet“ und unmittelbar nach Erreichen der Ausbildungsziele werden sie auf Nimmerwiedersehen entlassen. Lediglich ein paar Freiwillige melden sich für weitere militärische Verwendungen. Der Großteil der Rekruten geht für die gesetzlich vorgeschriebene Milizstruktur verloren, denn das System „Sechs plus Null“ ergibt keine Milizarmee – eher ein Perpetuum Mobile Militaris. Kaum sind die Soldaten eines Geburtsjahrgangs entlassen, kommen schon die nächsten. Nicht nur die Tatsache der Gesetzwidrigkeit, sondern auch die Sinnfrage taucht hier auf. Ersteres hat die Bundesregierung erkannt und hat die Wiederherstellung der Verfassungskonformität im Regierungsprogramm festgeschrieben. Dass sie dabei an mehr als eine Erhöhung des Wehrbudgets gedacht hat, bleibt zu hoffen. Die Hoffnung lebt (noch)! MG