2020 war ein besonderes Jahr. Auch für unser Bundesheer. In einer von vielen Pressekonferenzen zog BM Tanner Bilanz. Dabei bemühte sie sich, bis ins Detail die unzähligen Einsätze bis hin zur Vorlesung der Mannstunden darzustellen. Und dabei – wäre da nicht die Frage eines Journalisten gewesen – blieb die Teilaufbietung der Armee in jener Form, die der Gesetzgeber für das Einsatzheer vorschreibt, beinahe unerwähnt. Für viele von uns einer der wichtigsten militärischen Einsätze der jüngeren Vergangenheit …

Kaum zuvor gab es für unser Heer eine derartige Vielfalt an Aufgaben zu bewältigen: bei Assistenzeinsätzen für die Polizei, für die Gesundheitsbehörden beim contact-tracing, Hilfeleistung bei Massentestungen, dazu Unterstützung bei Post und Lebensmittelhandel, darüber hinaus noch Hilfeleistung nach Katastrophen und Auslandseinsätze. Dazu eine erstmalige „Teilmobilmachung der Miliz (sic!) im Mai 2020 und eine Verlängerung des Präsenzdienstes für Grundwehrdiener um zwei Monate“, bilanzierte die Verteidigungsministerin in einer Pressekonferenz Mitte Jänner. Und sie beeilte sich hinzuzufügen, dass „dieser (Anm.: von ihr so bezeichneten) Teilmobilmachung der Miliz keine leichte Entscheidung zu Grunde lag und es geradezu ein Blindflug war …“ Mag durchaus sein, dass sie es so empfunden hat.
Manche meinen, dass es ein Quantensprung war. Wirklich?
Ein Januswort, denn der Begriff hat doppelte Bedeutung. In der Wissenschaft ein kleiner, ganz normaler Schritt für ein Elektron. Eine Kleinigkeit geschieht, wird aber sogleich wieder zunichte gemacht. Die Entdeckung dieser Kleinigkeit war jedoch ein großer Schritt für die Menschheit. Mag sein, dass die Teilaufbietung von 13 Kompanien unseres Heeres für so manchen „Unbedarften“ in unserem politischen System etwas Ähnliches war. Möglicherweise selbst für manchen Angehörigen der obersten militärischen Führung, wo so mancher abseits der Realität der Truppe „dient“.
Sensation war es freilich keine. Ein Weckruf für an wehrpolitischen Belangen desinteressierte (aber verantwortliche) Politiker hätte es freilich sein können, wenn man heeresintern nicht zwei Monate lang in mühseligen Telefonaten die betroffenen Soldaten des Milizstandes befragt hätte, ob sie auch tatsächlich einer Einberufung Folge leisten würden.
So wurden auch aus der theoretischen Masse von zehn Bataillonen der „strukturierten Miliz“ lediglich einzelne Einheiten aufgeboten, die obendrein noch drei Wochen lang auf ihren Einsatz vorbereitet werden mussten. Eine minimale wehrpolitische Veränderung eines seit Jahren währenden konstant verfassungswidrigen Zustands unseres Heeres, wenn man die Erfüllung klassischer Organisationsmerkmale des Milizprinzips betrachtet.
Solche wären etwa periodische Übungen zur Einsatzvorbereitung, wie das selbst bei den Feuerwehren der Fall ist oder wenn man an andere Armeen denkt, wo eine „Knopfdrucklarmierung“ eingeübt ist und funktioniert. Bei durchaus vergleichbaren Einsatzszenarien, gleicher Einwohnerzahl aber nicht 55.000 Soldaten, sondern mehr als doppelt so vielen – und die nicht nur mangelhaft ausgestattet oder gar nur auf geduldigem Papier stehend.

Ein Quantensprung als „etwas Besonderes“ war die Teilaufbietung wohl, wenn man sich an die Ereignisse 1991 an der einstigen Grenze zu Jugoslawien erinnert. Damals hat man für eben diesen Einsatz übende Soldaten des Milizstandes nach Hause entlassen und an ihrer Stelle im ersten Ausbildungsabschnitt steckende Grundwehrdiener in einen durchaus gefährlichen Einsatz geschickt. Militärische Lehrlinge wurden an die Front geschickt. Wäre es mit den nicht zur Feldverwendung ausgebildeten Rekruten im Zuge von Kampfhandlungen zu Gefallenen gekommen, hätten die verantwortlichen Politiker und ihre Paladine wohl Schuld an deren Tod verantworten müssen …
Fehlt der politische Wille?
Ankündigungen zur Herstellung der Verfassungskonformität waren zwar bereits in den beiden jüngeren Regierungserklärungen zu vernehmen, allein die Taten fehlen. Zum „Quantensprung“ im Sinne eines großen Fortschritts bedarf es allerdings noch einer Menge. Da werden als Sensation angekündigte „200 Millionen für die Ausrüstung der Miliz“ nicht genügen. Das alleine schon ist aus dem offenbar falschen Verständnis des Milizbegriffs derzeit politisch Verantwortlicher zu schließen, auch wenn die Bundesministerin selbst immer wieder von „der Miliz“ spricht, als wäre diese eine weitere Teilstreitkraft neben einer Luftwaffe (die wir nicht haben), einer Marine (die wir nicht haben) oder dem Heer (in dessen Friedenorganisation man „präsente Kräfte“ nennt).
Sag‘ mir quando, sag‘ mir wann …
Wie lange noch wird es dauern, bis man „Miliz“ als das erkennt, was es zu sein hätte: ein Organisationsprinzip für das gesamte Bundesheer. Für ein Heer, das mehrheitlich aus Angehörigen des Milizstandes besteht. Eines, das freilich auch in seiner Friedensorganisation mit einem notwendigen Anteil an Berufssoldaten besteht. Doch am Geld alleine liegt es nicht. Wenn auch noch so sehr im Duett Tanner/Hameseder über eine Sonderfinanzierung gejubelt wird – mit ein paar angekündigten „Milliönchen“, die obendrein auf drei Jahre aufgeteilt werden, wird man „das Kraut nicht fett machen“. Da bedarf es zunächst einer anderen Heeresstruktur und anderen zeitlichen Abläufen des Grundwehrdienstes. Und selbst dann noch immer nicht, wenn allgemein Wehrpflichtige zu Tätigkeiten herangezogen werden, die sie von der Ausbildung zum Zweck der militärischen Landesverteidigung abhalten. Obendrein nicht, wenn man bei verfassungsgesetzlich bestimmter allgemeiner Wehrpflicht glaubt, auf das Pferd der Freiwilligkeit setzen zu können. Denn für einen Einsatz, der raschere Aufbietung erfordert als jener zum „Blindflug“, wird es wohl nicht langen, wenn man zwei Monate lang davor zu telefonieren beginnt …
Hier ist die Politik gefordert, sich wehrpolitischen Verstandes zu bedienen – ohne dass es “koste, was es wolle“. Denn eine Armee nach den Grundsätzen eines Milizsystems bei allgemeiner Wehrpflicht wäre nicht nur verfassungskonform, sondern unserem Bedarf entsprechend auch das kostengünstigste System für unsere Heimat.
MG